Stern – Kunst am Laufenden Meter
KUNST AM LAUFENDEN METER.
Der deutsche Maler Rainer Maria Latzke entdeckte vor einigen Jahren eine attraktive Marktlücke – großformatige Wandmalerei für private Kunden. Inzwischen wurde er mit seinen Gemälden zum Millionär.
Die Scheinwerfer auf den Automobilen ziehen auf dem Broadway eine leuchtende Spur. Die Fenster der Wolkenkratzer glitzern. Ganz oben blinken die Sterne, eine Schnuppe fällt vom Himmel. Zwölf Meter lang und rund vier Meter hoch hat der Künstler Rainer Maria Latzke mit seinem Bruder Markus diese New-York-Illusion an die Wand gemalt. Nach vier Wochen Arbeit funkelt die Silhouette der amerikanischen Stadt nun im Schwimmbad eines Wüstenpalastes in Dubai, und elektronisch gesteuerte Lichter setzten der Skyline eine Glitzerkrone auf. Auftraggeber war ein Scheich, dessen Sohn nach langjährigem Studium in den USA vor Sehnsucht nach Manhattan zerfloss. Papa sorgte sich so um die Psyche des Juniors, dass er den deutschen Maler mit seinem Team in den Nahen Osten einfliegen liess.
Auch in Deutschland hat der Maler aus der Eifel reichlich Kunden, die sich seine Künste etwas kosten lassen. Am liebsten vertrauen sie ihm ihre Schwimmbäder an, auf die sich der 36jährige inzwischen spezialisiert hat. Wenn Rainer Maria Latzke ein Schwimmbad neu gestaltet, dann schmücken es üppige Szenen, mal aus 1001 Nacht, mal im Dschungel Look, tummeln sich dort pinkfarbene Flamingos, geben ehemals triste Kachelwände die Sicht auf kleine französische Fischerdörfer frei. „In ihren Schwimmbädern und Badezimmern haben die Deutschen die niedrigste Hemmschwelle. Hier können sie ihren Freunden zeigen, dass sie Geld und Geschmack haben“, doziert Latzke. Menschen mit diesen erfreulichen Eigenschaften finden sich nach seiner Erfahrung vor allem südlich des Mains. „Da gibt es mehr Genussmenschen“. Nicht nur Privatleute, auch Unternehmen haben die Wandmalerei wiederentdeckt: Eine Schweizer Hotelgruppe lässt sich in der Südtürkei von Latzke eine Hotelhalle verschönern, eine Hamburger Reederei hat ein wasserfestes Latzke-Fitness-Deck für einen ihrer Luxusliner geordert, ein Mormonentempel in Bogota ist in Planung. „ Ich habe immer schon barock gefühlt und male die Illusionen der Menschen. Das brauchen sie heute, und sie sehen, dass meine Welt schöner ist als die reale.“ So hat Rainer Maria Latzke mit seinem Konzept zielsicher den Zeitgeist getroffen. Denn zwischen Mailand, Rom und Los Angeles gibt es einen neuen Einrichtungsstil. Vergessen sind die weißen Wände, die leeren Galerien, der ganze Krempel aus Chrom, Glas oder Metall. Runter mit den Jallousien, her mit schweren Vorhängen, am besten bunt geblümt und vielfach gerafft. Die neue Üppigkeit ist da, man drapiert und dekoriert, entdeckt plötzlich wieder Silberleuchter und hängt Kräuter-Säckchen an den antiken Schrank. Oder man lässt malen.
„Man muss nicht Not leiden um ein guter Künstler zu sein“
Latzkes grosse Vorbilder sind Italiener wie Giotto und Raffael, da Vinci und Michelangelo. So bekannt wie sie möchte der Designer aus Frohngau in der Eifel auch mal werden. Ein standesgemäßes Domizil hat er sich schon ausgesucht. Unweit der deutschen Grenze kaufte er in dem kleinen belgischen Ort Kettenis ein heruntergekommenes Schloss. Inzwischen hämmern in dem 1775 erbauten „Chateau Thal“ die Handwerker, richten alte Schlossmauern wieder auf, legen Gärtner neue Beete an, pflanzen Büsche. Zusammen mit seiner Frau Doris, 27 dem sechsjährigen Rene, der vierjährigen Katharina und dem einjährigen Maurice Amadeus gestaltet Latzke hier seinen eigenen Traum von grosser Welt. Der Treppenaufgang wird etruskisch, das Schlafzimmer arabisch, das Bad römisch. In einem „Gartenzimmer“sprießt gemalter Farn aus der Decke, rankt sich Efeu um falsche Säulen, im „Traumzimmer “ fallen Sterne vom Himmel, und im „Katastrophenraum“ prangen an Wand und Decke historische Untergänge wie der von Pompeji oder der von der „Titanic“ oder auch die Explosion des Luftschiffs „Hindenburg“.
Rainer Maria Latzke, als Sohn eines Kunstlehrers in dem 384 Seelen-Dorf Frohngau bei Bad Münstereifel geboren, malte schon in der Schule gerne. Nach dem Abitur ging er an die Kunstakademie Düsseldorf, studierte Kunst und Philosophie. „Das sah ganz schlecht aus“, sagt er. Seinen Lehrern, darunter auch Joseph Beuys, war er zu erzählerisch, zu gefühlvoll, oder einfacher: zu kitschig. Nach seinem Staatsexamen drängten ihn die Eltern auf eine solide Laufbahn. Rainer Maria Latzke wurde Kunsterzieher in Euskirchen bei Bonn. Da klappte es auch nicht so recht. „Ich war nicht besonders didaktisch.“ Latzke kündigte und ging mit Frau Doris nach Italien. „Ich dachte mir, was die Italiener so gemacht haben, das kann ich doch auch einmal ausprobieren.“ Also besorgte er sich Bücher über Wandmalerei und büffelte, wie man in einer Kuppel gerade Linien zieht. Bei einem halbjährigen Aufenthalt in dem französischen Küstenstädtchen Roquebrune mischte er die alte Technik mit seinem neuen Kunst-Konzept. „Licht ist in meinen Bildern sehr wichtig. Ich brauche eine heitere Atmosphäre, dann kann ich einfach besser arbeiten.“
Die Latzke-Mixtur kam schon früh auch nördlich der Alpen an. In Köln erhielt er 1981 seinen ersten Auftrag. In einem italienischen Restaurant malte er eine Decke aus. Honorar: ein Gratis-Essen. Und dann kamen die Folgeaufträge. Drei Jahre später war er im Geschäft. Damit er heute seine zwoef Objekte pro Jahr optimal betreuen kann, beschäftigt er neben seinem Bruder Markus einen Manager als „Project Consultant“, eine Sekretärin, eine Assistentin. Darüber hinaus eine Dame für die PR-Arbeit und einen Agenten bei „Harrods“ in London, der sich vornehmlich für die Vermarktung einsetzt. So viel Aufwand kostet. Allein für die erste Ausarbeitung eines Wandgemäldes berechnet das Unternehmen Latzke eine „Schutzgebühr“ von 3.000 bis 6.000 Mark. Insgesamt muss ein Auftraggeber mit Spesen bis zu 350.00 Mark rechnen. Über die Höhe seines Honorars mag der Künstler sich nicht äußern, aber sechsstellige Summen seien für einen echten Latzke schon angebracht. „Man muss nicht Not leiden, um ein guter Künstler zu sein“ sagt er schlicht. „ Aber mein Leben ist nicht nur Luxus, Champagner trinken und im Schloss sitzen. Ich arbeite bis zu 14 Stunden am Tag“, wirkt er eilig dem Verdacht entgegen, es ginge ihm zu gut. Ist Geld etwas die Triebfeder für seine Ausdauer, für seine Disziplin und seinen Ehrgeiz? „Nein, überhaupt nicht.“ Er lebt nur nach seinem Wahlspruch:“Träume dein Leben und lebe deinen Traum.“ Ihm liegt nicht das Geldbesitzen, sondern das Geldausgeben. Also gibt es eben Champagner zum Frühstück, der Mercedes 500 SEC hat nicht nur eine spezielle Sternenglitzer-Lackierung, sondern auch einen Tachometer mit den Initialen des Besitzers, und gespeist wird in den besten Restaurants Belgiens.
Warum sind nicht schon andere Maler auf die Idee gekommen, den Leuten eine Illusion ins Schlafzimmer oder neben den Swimmingpool zu setzen? Ein deutsches Künstler-Ehepaar habe es vor Jahren im Rheinland mal gegeben. Aber die sind keine Konkurrenz mehr für Latzke. Sie malen nun dort, wo das Bedürfnis nach schönen Träumen, die Angst vor Alpträumen am größten geworden sind – in Kalifornien. Latzke jedoch hängt an Europa. „Ich brauche Rom, Paris und auch die olle Eifel“, sagt er. Heimatverbunden ist er, sentimental auch, abergläubig ein wenig. „Ich glaube, wenn man im Beruf über Leichen geht, dann stehen die bald wieder auf und überholen einen.” Wer sich einen nicht mehr umtauschbaren und ja auch nicht verkäuflichen Rainer Maria Latzke für die Wand zulegt, der bekommt auch noch ein sehr persönliches Engagement des Künstlers dazu. „Wenn mein Bruder und ich bis zu zwei Monaten mit unseren Auftraggebern zusammen sind, entwickeln sich sehr häufig Kontakte. Man lädt sich auch nach Jahren noch ein.“ Damit schon die Übergabe des neuen Kunstwerks zum Ereignis wird, bekommen die Kunden eine kleine Show mitgeliefert. Ganz zum Schluss setzt sich der Künstler vor sein Gemälde an der Wand und signiert es. Die Farbe rührt er – was wäre wohl passender – mit Champagner an.
von Jan Kromschröder