VANTAGE Magazin, China – Ein Moderner Meister
Ein Moderner Meister
Rainer Maria Latzke fand seine Berufung in einer vergessenen Kunst und brachte sie wieder zurück ins 21. Jahrhundert. Treffen Sie einen wirklich modernen Meister.
Die Art der realistischen Malerei, auf die sich der in Shanghai arbeitende deutsche Künstler Rainer Maria Latzke spezialisiert hat, war in der Moderne eine sterbende Kunst. In einer Zeit, in der zeitgenössische ” konzeptionelle ” Kunst in Mode war, waren Latzkes Werke mit ihrer Rückbesinnung auf die traditionellen Werte der Meisterschaft und technischen Fähigkeiten auf unerwartete Weise ikonoklastisch. Der Künstler gelangte mit seinen großformatigen Trompe l´oeil Bildern zu Ruhm und ist heute einer der meistgeachteten Wandmaler der Welt.
Aus einer angesehenen Familie von Künstlern und Wissenschaftlern stammend, studierte Latzke Kunst an der Düsseldorfer Kunstakademie bei dem renommierten Künstler Gerhard Richter. Nach dem Studium hatte er Schwierigkeiten, seine Arbeiten zu verkaufen: “Die Galeristen schickten mich weg und sagten, dass ich mit meinen realistischen Arbeiten 200 Jahre zu spat käme”, erinnert sich der Künstler, “so dachte ich, dass es angenehmer wäre, unter der italienischen Sonne statt im regnerischen Deutschland zu hungern.” Dort angekommen, faszinierten ihn besonders die illusionistischen Fresken der Renaissance. “Sie gaben mir das surreale Gefühl, in ein Bild hineingehen zu können und ein Teil davon zu werden”, erklärt er. Es habe ihn gewundert, warum die Welt aufgehört hatte, so wunderbare Kunst zu produzieren.
Da es keine lebenden Lehrer gab, lernte er von den toten: er arbeitete sich durch staubige Bücher in Bibliotheken und studierte intensiv die Wandbilder in alten Palästen und Kirchen. Als er, ausgerüstet mit seinen neuen Kenntnissen und Techniken, nach Deutschland zurück kam, stellte er jedoch enttäuscht fest, dass sich niemand mehr für Wandbilder interessierte. “Die Kunstszene lachte mich aus und meinte: “Was für ein Narr, als er ging, war er 200 Jahre zu spät dran, und als er wiederkam, waren es schon 400 Jahre!” Doch weil seine Leidenschaft für die Wandmalerei geweckt war, liess er sich nicht beeindrucken. Er reiste herum und verdiente sich Kost und Logis mit dem Malen von Wandbildern.
“Ich war immer das schwarze Schaf in meiner Familie und daran gewöhnt, nicht von allen geschätzt zu werden, so habe ich gelernt, meinen eigenen Weg zu gehen”, sagt er. Die rebellische Ader zahlte sich aus, als die Welt den Wert seiner Arbeit zu schätzen begann und Latzke als der wohl beste Künstler auf diesem Gebiet Berühmtheit erlangte. “Erfolg und Geld folgen immer guten Dingen, und um etwas Gutes zu schaffen, braucht man die richtige Leidenschaft.” Erfolg und Geld folgten tatsächlich. Es stellte sich heraus, dass es eine sehr gut betuchte Klientel gab, die die Tradition, Qualität und die Individualität, die mit einem Wandbild verbunden sind, immer noch zu schätzen wussten. “Als ich mit meiner Wandmalerei Karriere machte und mich die früheren Kritiker in einem Rolls Royce herumfahren sahen und ich in einem Schloss wohnte, änderten sie langsam ihre Meinung. Und das ist keine Metapher, er lebte tatsächlich in einem Schloss.
Während er an einer amerikanischen Universität unterrichtete, wurde Latzke eine Gastprofessur am Shanghai Institute of Visual Art der Fudan-Universität angeboten. Er traf hier auf ein aufmerksames und aufgeschlossenes Publikum, das von der Wirkung der Trompe l’ oeil-Wandmalerei fasziniert war. “Während chinesische Wandbilder vor allem dekorativ und zweidimensional sind, erscheint die europäische illusionistische Wandmalerei dreidimensional und real. Sie öffnet die Wände und gibt dem Betrachter das Gefühl, ein Paradies zu sehen in das man geradewegs hineinspazieren zu könnte.“
Latzke malt nicht nur klassische europäische Szenen, sondern integriert die traditionellen chinesischen Malweise in seine Kunst, was eine ganz neue Dimension der Wandmalerei ergab: “Ich war schon immer von der asiatischen Malerei beeindruckt. Die Kunst ist für mich wie eine große Kiste voll von wunderbaren und farbenprächtigen Gegenständen, in der ich beim Durchstöbern immer auf etwas Interessantes stosse”, sagt er über die kulturübergreifende Malerei, “Es ist lustig, während meine europäischen Auftraggeber oft asiatische Themen mögen, bevorzugen die chinesischen Kunden europäische. Vielleicht deswegen, weil man gern von Dingen träumt, die man nicht hat.”
Im Jahr 2009 gründete Latzke das Institute of Frescography, das sich die Förderung des öffentlichen Wissens und des Interesses an der Kunst der Wandmalerei zur Aufgabe gemacht hat. “Die Menschen sind viel unabhängiger und emanzipierter in ihrem Geschmack als zu der Zeit, als ich jung war. Wenn damals jemand sein Haus sehr modern einrichten wollte, hatte es schnell eine sterile und kalte Atmosphäre, und wenn auf der anderen Seite jemand eher das Klassischen mochte, konnte es am Ende wie ein verstaubtes Museum wirken. Heute dagegen haben die Menschen keine Probleme damit, die verschiedensten Stile zu mischen und z.B. hypermoderne Stahl-und Acryl- Designermöbel mit klassischen Elementen zu kombinieren und auf dies Weise eine spannende und atemberaubende Inneneinrichtung zu schaffen.” Der Künstler sieht die Zukunft seiner Kunst optimistisch: “Wandmalerei ist eine der ältesten Kunstformen der Menschheit. Manchmal hatte sie ihre Hoch-Zeiten und manchmal geriet sie wie eine schlafende Schönheit in Vergessenheit. Aber es ist wie mit der Musik von Mozart oder Bach. Sie kommt immer wieder.”